Seitdem meine Kinder auf der Welt sind, kämpfe ich um den Mittelweg. Dabei ist es immer so leicht dahin gesagt: „Finde die goldene Mitte!“, also das Vollkommene, das kein bisschen Zuviel und Zuwenig hat. Die Erziehung ist eben so viel mehr als Kalorienzählen nach strikter Vorgabe, als die Ausgewogenheit von Kohlenhydraten und Eiweiß. Es ist soviel schwieriger als die perfekte Weinschorle oder das Abschmecken des Nudelsalats. Ja, es begleitet uns in jeder Faser des Alltags, von morgens bis abends: der perfekte Mittelweg in der Erziehung, der für alle Familienmitglieder uneingeschränkt gültig ist.

Betrachten wir doch nur einmal die Zubettgeh-Zeiten eines Pubertiers: während der Schulzeit unter der Woche um neun Uhr abends, freitags und samstags darf es auch mal Mitternacht sein. „Um Gottes willen!“, schlagen manche sofort Alarm. Spätestens acht Uhr abends unter der Woche und zehn Uhr abends am Wochenende ist angebracht, alles andere schadet dem Kindeswohl. Und dann haben wir noch nicht über „das Ausschlafen“ gesprochen. Teenies sind ja scheinbar in der Lage, auch an heißen Sommertagen in einen Winterschlaf zu fallen, der die 8,5 Durchschnittsstunden des Bundesbürgers um ein Vielfaches übertrifft.
So ist es nun auch bei der Ernährung: auch zwischen vegan, zuckerfrei und reich an Fleisch und auch mal Zucker klafft ein riesiges Loch voller Streitpotenzial. Wann und wie oft, was und wieviel: Diskutiert wird das Thema nicht nur zwischen Erziehungsberechtigten, sondern tagtäglich auch mit dem Heranwachsenden. Dieser erweckt ohnehin den Eindruck, er würde den ganzen Kühlschrank samt Inhalt auf einmal verdrücken. Ich habe ja Verständnis für Wachstumsschübe, aber der brüllende Löwe in der Küche ist mir dann doch nicht ganz geheuer. Gibt´s zu Hause nicht genug, lassen sich stets Mittel und Wege finden, die Sucht nach Zucker außerhalb zu befriedigen. Aber gut: die Ausgewogenheit gelingt mir nicht einmal beim Familienhund.

Am schlimmsten jedoch ist es die perfekte Mitte beim medialen Konsum zu finden. Umgeben von allerlei stromschluckenden Bestien, ist das Feld der Elektronik reich besetzt und macht ein Pauschalverbot fast unmöglich. Ist es zu wenig, schließt du deine Kind womöglich vom sozialen Leben aus, das heutzutage nun mal größtenteils online stattfindet. Bist du zu großzügig, bekommt dein Kind nicht nur schlechte Augen, sondern wird im schlimmsten Fall abhängig von dem Elektromist, ganz ohne Anschluss im echten Leben.
Damit mussten sich die früheren Generationen natürlich nicht herumschlagen: das Telefon mit der Wählscheibe war schnell abgesteckt, am einzigen Fernseher des Hauses lief die Tagesschau und Dallas. Einzig und allein die kleine Stereoanlage habe ich tatsächlich aufgedreht, so dass die Scheiben wackelten. Aber das macht heute ja keiner mehr. Voll oldschool. Stattdessen leitet man sich den Sound direkt in den Hörgang, allseits bereit einen Sprachanruf zu empfangen.
Nun, natürlich lässt sich all das Neue auch steuern wie zum Bespiel W-Lan Freigabe für bestimmte Stunden. Ebenfalls funken Netflix & Co durch, wenn sich der Nachwuchs klamm und heimlich einzuloggen versucht. An Kontrollmöglichkeiten fehlt es also nicht. Es bleibt trotz allem beim Finden dieser harmonischen Mitte. Aber in diesem Fall gibt es nun mal keine tatsächlich verbindlichen Vorgaben. Was bleibt übrig als sich an Erfahrungswerte heranzutrauen? An die eigenen natürlich. Und dann geht´s ans Tauziehen, an das Kräfte messen – hört sich anstrengend an, ist es auch. Und du weißt, wenn du verlierst, sitzt du schnell auf dem Hosenboden. Hast du es dann endlich mit viel Kompromissbereitschaft geschafft, dich der ersehnten Mitte anzunähern, ist die Pubertät Geschichte und die Kinder aus dem Haus.