Ich hetze in die Halle, das Spiel läuft schon. Das hab ich allerdings auf dem Parkplatz bereits wahrgenommen. Kreischende Fachleute bringen die Halle zum Beben. Ja, ich bin zu spät. Isso, liebe Mamas, die aussehen wie laufende Kleiderständer. Die vorbeilaufenden Schrazen schmeißen grad so noch Rucksäcke und Jacken auf sie, während sie nicht einmal eine Hand zum Schweiß abwischen frei hat. Ich hebe schnell die FC Bayern Mütze auf und stecke sie der Übermutti unter die Arme. Dann erst bemerke ich, dass mein Sohn schon in voller Fußballmontur auf dem Spielfeld steht. Knapp ist es, knapp in Führung. Super, ein Grund zur Freude! Ich reiße mich am Riemen, halte mich an die Abmachung, zum Teil: „Mama, du schreist ja nicht rein, das ist ja voll peinlich! Und mach bloß keine Fotos!“ Ich zücke trotzdem schnell mein Handy, um den Großeltern ein nettes Bild vom sportlichen Enkel zuschicken zu können. (Endlich haben sie den Fußballspieler in der Familie, der wir Kinder nie waren.) Ich stehe zwischen den Stühlen. Pubertier will auf kein Bild, Großeltern wollen ein vollumfängliche Dokumentation. Und ich? Versuche es jedem Recht zu machen.
Ich fokussiere also, versuche nicht zu wackeln (gibt nur wieder Qualitätsdiskussion mit Opa) und dann auf einmal dieses Geschrei und Gedränge: „Foul! Abseits! Schiri, hast keine Augen im Kopf! Das muss gelb geben! Gehts noch?“ Die Frau neben mir, augenscheinlich auch Mutter, recht rund, fuchtelt wild. Vor lauter Schreck lass ich mein Handy fallen. Sie läuft ganz rot an und dann wird sie wieder weiß. „Soll ich sie fragen, ob ihr was fehlt?“, schießt mir durch den Kopf. Vielleicht braucht sie Wasser oder so. Dann schaut sie mich an, dieser Todesblick durchdringt mich, und ich bin froh, dass sie heute keinen Regenschirm gebraucht hat: „Das war doch ihrer, ganz klar Abseits und dann stellt er dem anderen noch ein Bein! Ihr habt´s den Schiri doch gekauft!“ So, jetzt werde ich blass. Abgesehen davon, dass ich nicht die leiseste Ahnung davon habe, was eigentlich Abseits ist, sehe ich es nicht ein, mich anschreien zu lassen. Ich versuche einen beruhigenden Ton anzuschlagen, aber das will mir nicht ganz so gelingen. Ungünstig. Ich blicke ihr ganz tief in die Augen und sage – wahrscheinlich genau das Falsche im Feindesland, quasi im Nachbarort, wo der Stamm der Erzrivalen haust: „Du siehst nicht aus als hättest du jemals einen Ball auch nur ansatzweise getroffen, daher ist hier deine offensichtlich Expertise nicht gefragt. Und was jetzt mein Sohn nun auch verbrochen zu haben scheint, er ist verdammt nochmal 4 Jahre alt und ich froh, dass er überhaupt in die richtige Richtung läuft. Und das tut er schneller, als deiner rollen kann. Er ist und wird kein Ronaldo, aber er hat Spaß daran. Und das wirst du ihm sicher nicht kaputtmachen.“ Schnappatmung.
Ich weiß, liebe Mamas, so eine Antwort ist nicht immer pädagogisch sinnvoll oder trägt auch nicht zum allgemeinen Frieden bei. Aber langsam reicht es mit dem Optimierungswahn. Wer es nicht bei sich selbst schafft, Wimpern, die bis zum Hintern reichen, anzukleben und Nägel zu tragen, mit denen man den Herd sauber kratzen kann, konzentriert sich auf den Nachwuchs. Als würde sie bei der Geburt schon schreien „a star is born“. Er oder sie hat dann beim ersten Fußballspiel schon Starqualitäten, ist mit 3 das begabteste Kind beim Turnen, nur der Trainer ist halt nicht so gut. Und natürlich ist es auch ein Sprach- und Mathegenie, liegt nur an den Lehrern, die alles falsch vermitteln. Eigentlich gibt´s den Ausdruck „blind vor Liebe“ eher bei der Partnerschaft. Aber nachdem sich die Eltern heute lieber ihrer Optimierung als ihrer Beziehung widmen, wird das Kind eben zum Star. Nur der Stern auf dem Broadway fehlt noch.